Die Freundin

Text Daniil Charms

Übersetzung Ilse Tschörtner

aus Zwischenfälle
Verlag Volk & Welt Berlin

Lied, Komposition: Natalia Smotritskaia


Freudin, über deine lieben
Züge ging der Wurm und fraß
Dreißig Kreise ein, vier Sieben,
Sieben K und ein Kreuz-As.
Hin ziehn über dir die Jahre,
Und ein Aug, geplatzt, starrt blind,
Grün die Lippen, storr die Haare,
Und im Nasloch singt der Wind.
Gott weiß, was in dieser Ruhe
In dir waltet! Doch ich weiß,
Irgendwann springt auf die Truhe,
Gibt dein großes Sinnen preis.
Und da wird die Welt verstehen
Deiner Schlafwut guten Grund,
Und dein Geist als Atemwehen
Aufsteigen aus Brust und Mund.
Wartest du, gestützt gelassen
Auf den Stab, daß sich erhöben
Die Planeten, Sternenmassen?
Sich verbänden Menschenleben?
Oder auch, daß dir Verlangen
Zuflöge vom Himmel dort,
Dich entzündend, den Gedanken
Umzuwandeln in sein Wort?
Trägen Schritts gehen wir auf Erden
Nehmen unsre Frist nicht wahr,
Die Minunten aber werden
Sichtbarer mit jedem Jahr.
Immer härter nimmt der kalte
Haß und Geiz uns beim Genick,
Und zur Erde senkt die alte
Dummheit ihren dumpfen Blick.
Doch einst stimmen wir die Leier,
Und einst singen wir im Hain,
Und der Welt wird diese Feier
Wie ein süßes Träumen sein.
Und die Flüsse schwellen brausend,
Und vom Uferfels herab,
Hundert Menschenalter, tausend,
Reglos, aufrecht überm Stab,
Kühlen Augs wirst du uns folgen
Auf den ruhmbestreuten Wegen,
Und es werden keine Wolken
Um dein hohes Haupt sich legen.

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